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Paraguay will nicht länger auf den Wechsel warten
von El País - Soledad Gallego-Díaz
15.04.09     A+ | a-
Die wenig erfahrene Regierung von Fernando Lugo ist nicht in der Lage, die Reformen gegen Hunger und Korruption in dem vom Volk geforderten Tempo durchzuführen

Von: Soledad Gallego-Díaz (El País/Spanien)
Die paraguayische Regierung will, dass jedes Schulkind wenigstens ein Glas Milch pro Tag bekommt. „Dann schlafen sie uns nicht auf den Stühlen ein“, bekräftigen die Lehrer.
Dieses Vorhaben lässt sich nicht überall sofort realisieren, auch gehen die Kinder nicht immer zur Schule, dennoch stecken die Behörden der Regierung des Fernando Lugo ihre ganze Kraft in dieses Projekt.
Alfredo Luís Jaeggli hingegen, bekannter Senator, 62 Jahre, Mitglied der Liberalen Partei, ist sauer und wehrt sich vehement gegen dieses Vorhaben der Regierung.
„Ich habe das als Kind selbst erlebt, als ich Schüler des´ Colegio Internacional´ war“, schrieb er jetzt in einem Brief an die Tageszeitung „ABC Color“ von Asunción.
„Ich, ein Reicher, der nach einem kräftigen Frühstück in einem Wagen mit Chauffeur zur Schule gebracht wurde, musste diesen verdammten Aluminiumbecher mit ungezuckerter Milch austrinken ...vielleicht bin ich ja deswegen ein Liberaler geworden, der solche erzwungenen Praktiken hasst.“
Jaeggli protestiert gegen „diese keynesianischen Ideen, nach denen der Staat eingreifen und etwas verschenken soll, das ihm nicht gehört.“

Wenn die Kinder einen Becher Milch bekommen, „nimmt mir das als Vater nicht die Verantwortung? Sind das nicht genau die Maßnahmen, die dazu beitragen,  dass Tausende von Kindern an den Ampelkreuzungen um Almosen betteln?“, fragt er sich.
Nur wenige Tage vor Lugos Amtsantritt verkauften Alfredo Jaeggli und zwei seiner Freunde dem Bauministerium ein Grundstück, für das sie 980.000 Euro aushandelten.

Der Senator Jaeggli versichert, das Grundstück gehöre ihm, kann aber gleichwohl keine  Originalbesitzurkunde vorweisen.
Nachforschungen von Journalisten beweisen, dass sowohl plumpe Fälschung öffentlicher Urkunden als auch Bestechung von Anwälten und gefälschte Rechtsgutachten im Spiel waren.
Die neue Regierung trat ihr Amt gerade noch rechtzeitig an, um den Scheck der Nationalbank über die Kaufsumme annullieren zu lassen.

Der Fall Jaeggli ist beispielhaft für den Zustand, in dem Paraguay sich nach mehr als 60 Jahren Herrschaft der Coloradopartei befindet.
Der Diktator, General Alfredo Stroessner, wurde von einem anderen General gestürzt, von dem behauptet wurde, er sei einer der größten Drogenhändler des Landes (Paraguay ist nach wie vor der weltweit führende „Exporteur“ von Marihuana). Allerdings änderte der Machtwechsel nichts an der „Kultur der Korruption“, von der die paraguayische Gesellschaft durchsetzt ist, und ebenso wenig an der extremen Armut seiner Bevölkerung. Die einzig reale Möglichkeit einer Änderung ergab sich erst mit dem Sieg des ehemaligen Bischofs Fernando Lugo, an der Spitze einer vielfältigen Allianz, die ihm freilich keine Mehrheit im Parlament zu sichern vermochte.

Lugo und sein kleines Team von integren, aber meist unerfahrenen Männern und Frauen, stellen sich der vielleicht schwierigsten Aufgabe, die zur Zeit in Südamerika zu vergeben ist: Einen Staat umzukrempeln, der gleichsam um die Korruption herum organisiert ist, und das hinzubekommen ohne parlamentarische Mehrheit und ohne eine Justizgewalt los werden zu können, die von ihrer Spitze bis nach unten käuflich ist.
Im Moment profitiert Lugo lediglich von einer zersplitterten Opposition, aber je mehr Zeit ins Land geht, umso größer wird sein Risiko, einem politischen Verfahren unterworfen zu werden: Eine Klausel in der paraguayischen Verfassung sieht vor, dass ein demokratisch an den Urnen gewählter Präsident von einer Zweidrittelmehrheit des Senats abgesetzt werden kann.
Seine wichtigste Verteidigung besteht allein im internationalen Ansehen, das seine Regierung genießt, und in seiner hohen Popularität. Jedoch sind die ihn umgebenden Personen der Meinung, Lugo müsse seine Reformen mit mehr Tempo voran treiben.
Außerdem müsse er stärker auf die Schaffung einer eigenen Partei hin arbeiten, nur so könne er mehr Unterstützung  im Parlament organisieren.
„Das wird der Präsident nicht tun. Er wird keine Partei gründen.
Aber wir müssten uns das vornehmen!“, sagt Miguel Perito López, Historiker und Generalsekretär des Präsidenten und seine rechte Hand. Der Minister, soeben von einer Lungenentzündung genesen und wieder in seinem Achtzehnstundentag-Rhythmus, räumt ein, dass die notwendigen Veränderungen weit kostspieliger und langsamer sind als von der Bevölkerung erwartet. López beklagt aber ebenso die geringe Verbreitung der Regierungserfolge durch die Medien: „Es ist kaum die Rede davon, dass erstmals in der Geschichte dieses Landes die Paraguayer das Recht auf eine kostenlose Gesundheitsversorgung haben. Diesen Plan haben wir gegen alle Widerstände umgesetzt. Ebenso wenig davon, dass wir uns  -  ebenfalls zum ersten Mal  -  um unsere indigene Bevölkerung kümmern, die bislang vollkommen missachtet wurde.
Auch die Tatsache, dass wir für eine Wasserversorgung im Chaco gesorgt haben, wo die Campesinos nicht einmal Wasser hatten,  um ihren Durst zu löschen, ist kaum eine Meldung wert.“
Es ist Lugos Ziel, die absolute Armut, von der 35% der Bevölkerung betroffen sind, um die Hälfte zu reduzieren. Die extreme Trockenheit der letzten Monate hat die Lage erheblich verschlimmert. Paraguay ist ein Land, in dem die Coloradopartei zwischen 1954 und 1989 mit korrupten Manipulationen acht Millionen Hektar Land „verteilt“ hat.
Einen Teil davon bewirtschaften jetzt brasilianische Besitzer (die sog. „brasiguayos“), die vor allem Soja gepflanzt haben, mit mechanisiertem Anbau, der keine Arbeitsplätze schafft, oder die  Weideland geschaffen haben durch Abholzung von Urwald.
„Wir brauchen ein halbes Jahr lang Nahrungsmittelhilfe für die ärmsten Campesinos, die ihre Ernten verloren haben und an ihren Schulden ersticken“, fordert Eladio Flecha, Führer einer Gewerkschaft von Landarbeitern, vor den Türen des Kongressgebäudes.        Flecha begleitet einen Protestmarsch Tausender verarmter Campesinos, die aus allen Landesteilen in die Hauptstadt gekommen sind,  um Hilfsmaßnahmen einzufordern. Und er zeigt sich Lugo gegenüber kritisch.
„Der Präsident muss endlich mehr entscheiden. Sie lassen ihn nichts durchsetzen. Er soll sich auf uns stützen und endlich die Agrarreform anpacken.“ Die Campesinos ziehen am Kongressplatz vorbei mit ihren Stöcken, die zum Symbol ihres Kampfes geworden sind. Einige davon sind nur einfache Stücke harten Holzes. Manche sind so geformt, dass sie den Schlagstöcken der Polizei ähneln. „Wir müssen den Präsidenten anstoßen!“, drängt Flecha.
„Gewiss müssen wir uns beeilen“, räumt Lugos Innenminister Rafael Fillizzola ein, 41jähriger Professor der Rechtsgeschichte, der die Last eines der schwersten Ämter trägt, die Lugo zu vergeben hatte.
Fillizzola teilt die Auffassung, dass der   Schlüssel für die Zukunft in der Fähigkeit der Regierung liegt, sowohl die Armut der Bevölkerung als auch ihre Unsicherheit durch die wachsende Kriminalität spürbar zu mindern.

„Die Bevölkerung merkt sehr schnell, wenn sich ihre Armut verringert und wenn der Staat sie besser schützt.“
Aber Fillizzola ist nicht naiv: Wenn er auch 300 bis 400 Stellen bei der Nationalpolizei ausgewechselt hat, so weiß er doch nur zu genau, dass sie weiterhin von Korruption durchlöchert ist.
„Ich war ja Abgeordneter und wusste wie die Dinge liefen, aber als ich hier ankam, war ich entsetzt. Mit den verschwundenen Geldern hätte die Polizei heute nicht nur Patrouillenfahrzeuge  -  nicht einmal die haben sie ausreichend  -  sondern Hubschrauber, die sie ebenso dringend brauchen.“ Er hat sogar noch die Zeit für ein kleines Lächeln, als er das sagt. Und er fügt noch hinzu:
„In Ciudad del Este, an der Dreiländergrenze Brasilien, Argentinien und Paraguay, mit seinen Bewohnern aus sechzig verschiedenen Nationen und dem Ruf des größten Bazars für Schmuggelware und Waffenhandel, da kamen sie mal zu mir und beschwerten sich über ein paar korrupte Polizisten. Die da protestierten, waren aber selber Schmuggler von geklauten Autos .... so sehen die Dinge hier aus.“

(Übersetzung: Hermann Schmitz)

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